Freud und Leid

GILIImmer wieder richtete sich die Spitze des Bootes auf und prallte mit einer enormen Wucht in die nächste Welle. Die auf Kopfhöhe verlaufende Scheibe offenbarte den enormen Tanz des Bootes im rauen Seegang. Immer wieder verschwand der Horizont der unendlichen Weite aus dem Blickfeld bis er sich nach einem weiteren Aufprall erneut offenbarte. Meine Blicke musterten immer wieder fraglich die gesamte Konstruktion des Schiffes während Sophie neben mir so gut es ging die starken Erschütterungen weg zu atmen versuchte. Der Blick auf den gelassenen Kapitän zeigte, dass dieser nicht daran dachte das Tempo etwas zu reduzieren. Mir war es ein Rätsel, wie dieser so ruhig da vorne im Boot stehen konnte, wo der Aufprall und die Bewegung an der Spitze ja am stärksten waren. Als ich schließlich feststellen musste, dass dies nun meine Eindrücke der letzten Fahrt um einiges überstieg, entschloss ich mich einen Platzwechsel zu arrangieren. Während auf der einen Seite Sophies Sorgen aufgrund der Schwangerschaft der Auslöser für diesen Wechsel waren, war dies ebenso der plausibelste Grund auch schnell einen Freiwilligen zu finden. Ich deutete dem lustigen Angestellten auf die schweißgebadete Sophie und ihren kleinen Kugelbauch. Dieser zögerte nicht lange, nickte mir zu und zog kurzerhand einen älteren Herren aus der letzten Reihe von seinem Sitzplatz. Die schnelle Tauschaktion machte sich sofort bemerkbar. Im hinteren Teil des Schiffes waren die Stöße kaum zu spüren, was nichts daran änderte, dass auch hier die Passagiere schweißdurchnässt mit ihrer Übelkeit rangen. Nach etwas mehr als einer Stunde war der Höllenritt beendet, Sophie atmete auf, ihr fester Griff löste sich von meinem Arm und meine Finger wurden wieder durchblutet. Es offenbarte sich der mir vertraute Anblick. Die friedlich seichten Wellen glitten weich über den weißen Sand. Das Wasser zeigte sich von einer solchen Klarheit und Färbung, dass es einem Katalogbild glich und die Sonne blendend reflektierte. Auf der Strandpromenade im Süden der Insel herrschte wie immer ein reges Treiben. Zwischen den kleinen Warungs, Shops und Tauschschulen drängten sich die Rucksackreisenden zu den Bootsanlegestellen oder verteilten sich von hier aus wie kleine Ameisen auf die winzige Insel. Über die kleine Trittleiter verließen wir das Schiff, bekamen unser Gepäck und die Kiste mit allen eingesammelten Flip Flops. Da auf der Insel lediglich Kutschen und Fahrräder als Fortbewegungsmittel genutzt werden und die Wege eh sehr kurz sind, gingen wir den Weg in den Norden zu Fuß. Hierbei machte sich die Schwangerschaft mit dem schweren Rucksack erstmals bemerkbar. Kurze Pause – Rucksacktausch – ich gehe schwitzend mit etwas über 30 Kilo weiter und entscheide mich dann gegen das Tragen eines T-Shirts.

An dieser Stelle folgt eine kleine Zäsur. Wir schreiben den 21.11.2018. Ich befinde mich in der Kindertagesstätte „Campuszwerge“ in Coburg und vernehme lachende Kinderstimmen, welche von frühmorgendlichen Gesängen durchzogen werden. Es ist mittlerweile über ein Jahr vergangen, dass ich den Beginn dieses Kapitels verfasst hatte. Die Zeit seit unserer Rückkehr nach Deutschland war so ereignisreich, dass ich es bisher nie geschafft hatte mein Projekt Reiseblog zu beenden. Derzeit durchlebt unsere kleine Tochter ihre Eingewöhnungsphase in der Krippe. Wir befinden uns derzeit in der dritten Woche und meine Aufgabe ist es, im Personalraum zu warten, bis unsere kleine Emma fertig ist. Also möchte ich in den nächsten Tagen und letzten Zügen meiner Elternzeit die Gelegenheit nutzen dieses Werk zu vollenden.

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Damit tauchen wir wieder ein in die verbliebenen Erinnerungen der indonesischen Sommerhitze. Die wenigen Tage auf der kleinen Insel habe ich nach wie vor als besonders paradiesisch in Erinnerung. Aufgrund der geringen Größe bietet die Insel kaum Möglichkeiten für ausgedehnte Programmpunkte, sondern zwingt einen viel mehr zur ausgiebigen Entschleunigung. Die Rückfahrt mit dem Boot auf das balinesische Festland gestaltete sich deutlich entspannter und ließ uns die Erinnerungen an die abenteuerliche Hinfahrt vergessen. Unser Plan war es über eine zufällige Zwischenetappe bereits den Weg Richtung Süden einzuschlagen und uns in Flughafennähe mental auf die Rückreise vorzubereiten. Die Wahl für die zwei Nächte auf halber Strecke fiel auf die Ortschaft Gianyar unweit vom touristischen Ubud, unserem Startpunkt der Rundreise. Bereits kurz nach der Anreise und dem einchecken in unserer Bleibe registrierten wir, dass dieses Örtchen ein völlig anderes Bild von Bali offenbarte. Kaum Hotels, keine Restaurants und vor allem keine Touristen. Der abendliche Rundgang durch die Straßen und Marktplätze der Stadt bescherten uns nicht nur unzählige, ungläubige sowie neugierige Blicke der Indonesier, sondern ebenso eine Zusammenstellung verschiedenster Speisen, von denen wir nicht wussten wie sie ausgesprochen werden, geschweige denn schmecken. Die Kommunikation verlief dabei mit Händen und Füßen. Allerdings genossen wir die Zeit in diesem sehr urigen, untouristischen und teils schon heruntergekommenen Teil der Insel.

Bali

Der Kontrast hätte kaum größer sein können, als wir im Anschluss unsere letzte Reiseetappe in Kuta begannen. Der südliche Zipfel Balis besteht neben dem Flughafengelände vornehmlich aus werbebeleuchteten Strandpromenaden, billigen Souvenirshops und großgebauten Hotels. Eines unserer Highlights, neben einem im Hungerrausch georderten Cordon bleu’s und einer Kakerlake auf dem Essenstisch, war die Aussetzung von über 200 Babyschildkröten am Sandstrand der Insel. Wie so oft war es mal wieder der Zufall, welcher uns in diese erfreuliche Lage gebracht hatte. Ein unscheinbares Schild am Promenadenrand wies auf das genannte Ereignis hin und verriet uns, dass es sogar in wenigen Minuten beginnen sollte. Noch etwas stutzig über das was hier geschehen sollte, stellten wir uns vorerst in die noch recht kleine Menschengtraube und warteten die ausgewiesenen 15 Minuten. In kurzer Zeit füllte sie das kleine abgesteckte Areal, bis es schließlich voll war und pünktlich um 16.00 Uhr ein älterer Herr auf einer kleinen Erhöhung stehend anfing über ein Megaphon zu uns zu sprechen. Er war der Chef dieser naturschützenden NGO, klärte uns dabei über das geplante Prozedere auf und gab uns einige Informationen über die Gründe der Aktion. Schildkröten haben die Eigenschaft immer an dem Ort zu laichen, an dem sie selbst abgelegt und geboren wurden. Selbst wenn sich der Lebensraum durch den touristischen Einfluss des Menschen so stark wie in unserem Fall verändert hat, behalten die Tiere diese Gewohnheit bei. Um die ungeschützten Eier am Badestrand und damit die Entwicklung der Population zu schützen, sammelt die Organisation die Eier auf, behütet sie bis zum Zeitpunkt des Schlüpfens und setzt diese mit der Hilfe von freiwilligen Urlaubern aus. Zu dem Bestürzen aller erfuhren wir, dass statistisch gesehen gerade einmal ein Jungtier von den über 200 ausgesetzten Schildkröten seine erste Reise überleben würde. Trauriger Weise liegt dies neben den natürlichen Feinden maßgeblich an der Verschmutzung der Weltmeere mit Plastik. Mit einer kleinen Spende erhielt dann jeder Tourist eine kleine mit Wasser gefüllte Schale, in welcher sich ein solches, schwimmendes Jungtier befand. Man hatte uns vorher aufgeklärt, die Tiere nicht zu berühren, aber die freie Hand gegebenenfalls schützend über die Schale zu halten. Als wir dann im Spalier in Richtung Wasser liefen wurde der Grund dafür deutlich. Je näher wir dem Wasser kamen, desto unruhiger wurden die kleinen Tiere und begannen wie wild in ihrer engen Schale in Richtung Meer zu paddeln. Nach dem alle Freiwilligen nur wenige Meter vom Wasser entfernt bereit standen, kamen die besprochenen Kommandos und wir ließen die Tiere sanft in den Sand. Ab dem Moment begann das große Rennen und wir beobachteten wie alle Kleintiere in Richtung Wasser rannten und schließlich im großen weiten Meer verschwanden.

Am letzten Tag unserer Reise hatte ich mir noch einen finalen Tempel im äußersten Süden Balis heraus gesucht. Der Uluwatu Tempel auf dem gleichnamigen Inselzipfel ist eine an der Steilküste entlang gestreckte Tempelanlage. Die Aussicht entlang des Küstenweges ist einzigartig. Aus luftiger Höhe hat man von hier einen sagenhaften Blick auf die wellenbrechenden, schroffen Felsen und das offene, weite Meer. Doch neben diesem grandiosen Naturschauspiel waren es wieder einmal die Tempelaffen, welche die größte Aufmerksamkeit der Touristen auf sich zogen. Dank eines gut getimten Videos konnte ich die diebische Ader dieses Affenvolkes gut dokumentieren. Bereits am Eingang wurden wir mit großen Warnschildern auf diese Gefahr hingewiesen, was die meisten Touristen nicht davon abhielt mit den Affen auf Tuchfühlung zu gehen. Im besagten Video posierte ein junger Herr vor der sich bietenden Kulisse. Dabei bemerkte er nicht den sich schnell annähernden Affen, welcher bereits die vermutlich gefälschte Sonnenbrille des Touristen als sein Ziel markiert hatte. Mit einem schnellen Handgriff schnappte sich der Affe die Brille von hinten und setzte sich triumphierend auf einen verzierten Sockel der Tempelmauer. Sofort drängten sich danach zwei Tempelmitarbeiter durch die kleine Menschansammlung, welche diese Specktakel beäugte und begannen mit dem Affen ein Tauschgeschäft einzugehen. Die beiden boten dem Affen Früchte und in Plastik verpackte Süßigkeiten, was nach wenigen Versuchen auch Wirkung zeigte und der junge Herr so wieder seine Brille zurück erlangte.

Im Anschluss fuhren wir zu einem der umliegenden Strände, um ein letztes Mal das Meer zu genießen. Zu unserem Erschrecken musste man hier für alle Strände eine „Nutzungsgebühr“ bezahlen. Aufgrund der wenigen Strände zwischen den steilen Klippen, hatten die Einheimischen alle Zugänge okkupiert und sich ein lohnendes Geschäftsmodell daraus entwickelt. Wiederwillig bezahlten wir letztlich an einer Stelle das Geld und stiegen im Anschluss in Richtung Strand herab. Obwohl der Strand tatsächlich sehr besonders und sehenswert war, sollte die Gebühr im Nachhinein nicht das einzige sein Ärgernis gewesen sein. An dem mit Spitzfelsen übersäten und korallen gesäumten Strand hatten wir einen letzten malerischen Sonnenuntergang, bevor wir erneut in das nächtliche Verkehrschaos der Südinsel eintauchten.

Am nächsten Morgen begannen wir nach dem Aufstehen unsere Sachen zu packen und uns auf die Abreise und den weiten Flug bis nach Athen vorzubereiten. Fokussiert auf die bevorstehenden Dinge registrierte ich nur nebenbei, dass sich unter meiner linken Fußsohle eine kleine Erhebung auftat. Durch die noch zu erledigenden Wege tat ich dies zunächst nur als kleinen Pickel an einer ungewöhnlichen Stelle ab und wir ließen uns auf den Flughafen fahren. Gegen Mittag startete schließlich unserer Flieger, in welchem wir es uns bis zum Zwischenstopp in Singapur gemütlich machten. Erst nach einer gewissen Zeit als der natürliche Stress und Druck vor einem Flug von mir  abfiel, hatte ich wieder Zeit mich in meinen Fuß hineinzufühlen und registrierte eine erneute Veränderung bevor ich in einen kurzen Schlaf fiel. Erst als der Flieger zur Landung ansetzte wurde ich wieder wach und bereitete mich darauf vor, in dem ich meine Sachen aus dem Netz zusammen suchte und diese sitzend in meiner Tasche verstaute. Als ich mir die Schuhe anziehen wollte, bemerkte ich, wie der linke Schuh auf einmal deutlich zu eng war. Mein linker Fuß war seltsamerweise sehr stark angeschwollen und begann nach und nach zu pochen, als ich anfing ihn zu bewegen. Selbst zu diesem Zeitpunkt spielte ich die Situation noch verwundert darüber herunter. Erst als mir beim Aufstehen aus dem Sitz ein stechender Schmerz durch das gesamte Bein zog, wusste ich, dass hier etwas nicht stimmte.



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