Das wars dann erstmal

Flug

Die Schritte vom Flugzeug bis in das Terminal waren äußerst schmerzhaft. Nur mit kleinen Tippelschritten oder teils hüpfend wankte ich langsam mit schmerzverzehrtem Blick in Richtung Foyer. Dank der typischen Rollbänder in den Fluren konnte ich meinen linken Fuß für den größten Teil des Weges bis in die Eingangshalle des Transitbereiches entlasten. Dort angelangt gab man uns nach einem kurzen Gespräch an einem Service-Desk eine Sicherheitsnadel und ein kleines Tütchen mit Mull und einem Pflaster. Aus sicherheitstechnischen Gründen gab es hier natürlich keine medizinischen Nadeln oder Kanülen. Das Aufsuchen des Flughafenarztes hätte hier wahrscheinlich mehr Sinn gemacht, war aufgrund unserer relativ kurzen Aufenthaltszeit allerdings ausgeschlossen. So setzten wir uns also mit dem notdürftigen Equipment in eine ruhige Ecke und ich begutachtete das erste Mal seit der morgendlichen Erstsichtung die kleine Wölbung unter der Sohle. Mein erster Gedanke war es dieses pickelähnliche Etwas zur Druckentlastung einfach aufzustechen. Mithilfe der Sicherheitsnadel, welche ich schlauer weise zuvor heimlich im Duty-free-Shop desinfizieren konnte, stach ich also in die Stelle, spülte sie aus und verband den Fuß. Bereits das Gefühl etwas unternommen zu haben stimmte mich optimistischer. Jedoch konnte ich nach wie vor kaum auftreten und wir hatten laut Anzeigetafel einen Fußweg von 20min bis zum richtigen Gate vor uns. Glücklicherweise fand Sophie hierfür in einer Ecke freiverfügbare Transportrollstühle, mit dem sie mich dann quer durch den Singapurer Transbereich schob. Letztlich machten wir es uns vor dem Eingangsbereich zum Gate noch einmal in liegender Position gemütlich. Der zweite Flug gestaltete sich dementsprechend unangenehm und beschwerlich. In den frühen Morgenstunden erreichten wir schließlich Athen – die letzte Station auf unserer ausgedehnten Rückreise. Als kleiner Verbleib unseres anfänglichen, bereits verworfenen Planes mit der Europadurchquerung wollten wir hier nochmals zwei Nächte verbringen. Die Löcher in unseren hungrigen Bäuchen überdeckten zunächst die ungünstige Entwicklung des Fußes. Genervt und dehydriert wandelten wir durch die Flure, suchten eine Möglichkeit in die Richtung unserer gebuchten Wohnung zu gelangen und wollten gleichzeitig etwas kostengünstiges für das längst überfällige Frühstück finden. Zum Glück boten uns die Airbnb-Hosts unseres Apartments an, uns von einer S-Bahn Haltestelle abzuholen und mit dem Auto zur Wohnung zu bringen. Dank des freundlichen Pärchens bekamen wir nicht nur eine sehr schöne, zentrumsnahe Wohnung zur Verfügung gestellt, sondern erhielten ebenso einige wichtige Infos für die nächsten zwei Tage. Bevor wir uns dem touristischen Teil widmen konnten, entschieden wir uns tatsächlich ein Krankenhaus aufzusuchen. Dabei bestand die erste Hürde aus dem Kauf eines Bustickets. Wieder einmal gelang es uns nur mit Händen und Füßen mit den nicht englisch sprechenden Griechen zu kommunizieren und nach einer halben Stunde Fahrt sowie einem kurzen Fußmarsch in der ansteigenden Hitze vor dem Krankhaus anzukommen. Leider erfuhren wir hier beim Pförtner, dass dieses Krankenhaus an diesem Tag geschlossen hatte und nur die Rettungsstelle im 2 Stunden entfernten Stadtteil geöffnet hätte. Fassungslos von dieser Tatsache entschied ich mich darauf lediglich eine Apotheke aufzusuchen, um die Restzeit in Athen doch noch sinnvoll zu nutzen.

Tagsdarauf entschlossen wir uns, die Stadt mit geliehenen Fahrrädern zu erkunden. Es stellte sich heraus, dass dies für den nach wie vor schmerzenden Fuß, die beste und flexibelste Fortbewegungsmöglichkeit darstellte. Mit zwei klapprigen Drahteseln bestückt machten wir uns also auf den Weg in Richtung Akropolis als Hauptziel unseres Tages. Auf unserer ca. 45-minütigen, gemütlichen Fahrt ging es quer durch das hektische Zentrum der griechischen Hauptstadt. Vorbei an morgendlichem Cafégeplauder, durch hupende Ampelkreuzungen, wartenden Menschentrauben und schreiende Markthändler führte uns das Navi direkt in die historische Altstadt. Obwohl der Tag stets von Sophies Erschöpfung durch die absurde Hitze und meine eingeschränkte Gehfähigkeit geprägt war, konnten wir den letzten Tag noch einmal in vollen Zügen nutzen und genießen. Während wir bei über 40° C im Schatten der Akropolis sitzend unsere geschmierten Schnitten und gekochten Eier aßen, realisierten wir, dass ausgerechnet dieser Tag der mit Abstand heißeste unserer gesamten Reise war. Der Rest des Tages bestand für uns aus leckerem Eis, kühlem Schatten und Kartenspielen im Park.

Am nächsten Tag war es dann schließlich soweit und wir setzten uns ein letztes Mal in den Flieger. Nach einem vergleichsweise kurzen Flug landeten wir am 24.07.2018 um 12.50 Uhr in Berlin Tegel und ich setzte damit nach 10 Monaten Abenteuer das erste Mal wieder meinen zerstörten Fuß auf deutschen Boden. Von das aus ging es dann noch in einer zähen und kaum enden wollenden Fahrt mit dem Fernbus nach Chemnitz, wo wir am Ende müde, aber zufrieden von Sophies Vater Volker in Empfang genommen wurden.

Die darauf folgenden Tage gestalteten sich turbulent. Im Nachhinein war unser Aktionismus perfekt, um der oft befürchteten „Reisedepression“ entgegenzuwirken, von der einige Rückkehrer häufig berichten. Bereits am zweiten Tag nach unserer Ankunft stand ich frisch rasiert, 7 Jahre jünger aussehend und im Hemd bekleidet für ein Bewerbungsbild in einem Fotogeschäft. Am fünften Tag nach unserer Ankunft verschickte ich bereits die ersten Bewerbungsunterlagen und begann ein erstes Mal leicht aufzuatmen. Neben einigen Telefonaten oder dem Schreiben mit Freunden und der Familie hatte ich mich sofort mit Sophies Hilfe an die Arbeit gemacht und alles Notwendige eingeleitet. Noch bis zum Wochenende hatte ich es geschafft 15 Bewerbungen abzuschicken und konnte mich nun vorerst daumendrückend etwas zurück lehnen.

In dieser kurzen Phase des Durchatmens hatte ich nun endlich einmal wieder Zeit, mich meinem Fuß zu widmen. Da nun selbst nach über einer Woche keine Verbesserung der Situation eingetreten war, entschied ich mich doch den Rat meines Stiefvaters einzubeziehen. Als langjähriger Chirurg entschied er sofort, dass ich ihn direkt am nächsten Morgen auf Arbeit besuchen solle. Das ganze verlief schnell und unkompliziert. Mit einem kreisrunden Schnitt entfernte er die kleine pickelähnliche Erhebung und entdeckte dabei winzige, harte Korallenüberreste in dem entfernten Fleisch. Die blutige Wunde sah gut aus, wurde entsprechend versorgt und ich konnte weiterhin humpelnd mit Sophie nach Hause fahren. Nach einer Nacht des Kühlens machte ich am Morgen beim zweiten Verbandswechsel die beunruhigende Entdeckung. Selbst das ungeschulte Auge erkannte hier eine deutliche Infektion und ich wurde kurzerhand abermals ins Krankenhaus bestellt. Der Kommentar: „Bring mal lieber noch ein paar Sachen mit!“ deutete sofort einen möglicherweise längeren Aufenthalt an. Nach einer erneuten kurzen Behandlung und weiteren Entfernung des Wundrandes entschied auch der Wundspezialist, dass eine intravenöse Antibiotikabehandlung notwendig war. Somit verbrachte ich die folgenden 4 Tage im Krankenhauszimmer, während bereits die ersten Gesprächseinladungen der Bewerbungen eintrafen. Letztlich ergaben die Ergebnisse der Laboranalyse, dass ich offenbar nochmals Glück im Unglück hatte. Der als seltener Tropenkeim identifizierte Erreger hätte mit längerem Warten eventuell deutlich mehr Schaden anstellen können. So sorgte die gesamte Behandlung dafür, dass heute selbst 1,5 Jahre nach diesem Vorfall nur ein kleiner, schmerzfreier Knubbel an die gesamte Geschichte erinnert. Nur 4 Tage nach meiner Entlassung setzte ich mich für mein erstes Vorstellungsgespräch ins Auto. Um das Bild eines jungen und dynamischen Sporttherapeuten aufrecht zu erhalten, behielt ich die Gehhilfen unter zu verkraftenden Schmerzen im Auto. Im darauffolgenden Monat führten mich glücklicherweise zahlreiche Einladungen quer durch Deutschland.

Im September 2017 war es dann endlich soweit. Ich hatte es geschafft in nicht einmal 2 Monaten einen Job zu bekommen und diesen auch zu beginnen. Wenige Wochen danach konnten wir mit der großartigen Hilfe unserer Freunde auch den Umzug in unsere neue Heimat Bad Rodach realisieren. Komplettiert wurde die ereignisreiche und kaum zu begreifende Zeit schließlich noch mit dem wahnsinnigen Geschenk meiner Großeltern. Während ich in meinen ersten Arbeitswochen im Medical Park pendelnder Weise bei ihnen unterkommen konnte, kauften sie mir fast im Vorbeigehen noch einen neuen Familienwagen. Wir hatten noch nicht einmal die Rückkehr ausreichend verarbeitet, da steckte ich schon in meiner neuen Arbeitskleidung und erwartete von da an sehnsüchtig unseren Nachwuchs. Am 30.12.2017 war es dann endlich soweit. Das unvorstellbar ereignisreiche Jahr, welches in Wellington, Neuseeland begonnen hatte, sich über die Reise durch Australien erstreckte und jetzt mit einem Job in Bad Rodach endete, hatte mir zum Abschluss noch meine Tochter Emma Marie geschenkt.

Besser spät als nie! Damit endet dieser Blog über ein Jahr nach den letzten Ereignissen. Ich blicke auf eine unglaubliche Zeit zurück. All die Menschen, Erlebnisse und Emotionen werden immer in meiner Erinnerung bleiben und mein Leben sicher noch eine längere Zeit prägen. Ich verzichte an dieser Stelle auf ein langes Schlusswort über die Philosophie des Reisens oder den Sinn des Lebens. Allen Interessierten kann ich an dieser Stelle nur empfehlen genau diese Erfahrung selbst zu machen, in die weite Welt zu ziehen und einmal aus der eigenen Komfortzone zu treten. Unser Traum wird es deshalb immer sein, dass dieser Reiseblog irgendwann wieder einmal zum Leben erweckt werden kann…


 


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