Glück im Unglück

Nach dem der Inder und ich uns über SMS noch einige Beschimpfungen an den Kopf geworfen hatten, konnte auch ich erst einmal den anfänglichen Schock über die Botschaft verdrängen und wir schmiedeten auf der Fähre erste Pläne über das weitere Vorgehen. Normalerweise hatten wir den Plan nach einer weiteren Nacht in Wellington das alte Auto loszubekommen und unsere Nordinselerkundung direkt aus dem Süden zu starten. Da wir die meiste Zeit unseres Aufenthaltes in Napier verbracht hatten und hier ebenso gute bzw. die einzigen Kontakte geknüpft hatten, war dies für uns der einzig sinnvolle Zufluchtsort. Wir erhofften uns, dass wir das Auto bei Collum, unserem alten und mehrwöchigem Host, abstellen und online, ohne unsere Anwesenheit verkaufen könnten. Da André durch das fehlende Geld des Autokaufes so langsam in einen finanziellen Engpass reinrauschte, äußerte er auch die Idee nochmals für wenige Tage zu arbeiten. Mit diesen ersten Gedanken fuhren wir die Strecke noch am selben Tag weiter mit zwei Autos und erreichten ohne Vorankündigung gegen 19.00 Uhr unsere alte, zweite Arbeitsstelle – Chantals Organic Orchard.

Als ich mit unserem neuen Wagen in die Einfahrt einbog sah ich bereits Andrés Auto auf dem Hof stehen. Er stand mit Richards überrascht, aber glücklich aussehender Frau Janice neben ihrem Haus und erklärte ihr unsere aktuelle Situation. Scheinbar sehr erfreut über das Erscheinen der „good German Workers“ boten uns die beiden sofort an für einige Tage bei ihnen zu arbeiten und ebenso in ihrer angrenzenden Laube kostenlos zu nächtigen. Noch selbst völlig überrumpelt von den jüngsten Geschehnissen fuhren wir sofort in das näher gelegene Hastings und bereiteten uns mit einem Einkauf von energiedichten Lebensmitteln und Bier auf die kommenden Arbeitstage vor. Selbst am Abend als wir unsere Mahlzeit im Garten von Richard und Janice zubereiteten waren wir noch völlig baff von unserem Glück und dieser herzlichen Gastfreundlichkeit der Beiden.

Am nächsten Tag war es dann endlich einmal wieder so weit. Wir starteten zu unserer alt gewohnten Zeit pünktlich um 7 Uhr mit der am Vortag besprochenen Arbeit. Zu unserer nächsten Überraschung erschienen zur selben Zeit auch Lasse und Lisa, welche wir noch kurz vor unserer Abreise von der Plantage ca. 8 Wochen zuvor kennengelernt hatten. Bereits auf dem Weg zu unserem Einsatzort brachte uns das deutsche Pärchen auf den neusten Stand und informierte uns über ein paar Veränderungen auf dem orchard. Wie wir bereits wussten war Richard als ehemaliger Richter mit über 70 Jahren in seinem ersten Jahr als Plantagenbesitzer und wirkte selbst für uns damals noch recht unorganisiert und planlos was die Arbeit auf dem Land anging. Leider bestätigte sich dieser Eindruck beim Anblick des Spargelfeldes, welches wir wenige Wochen zuvor komplett von Unkraut befreit hatten. An einigen Stellen waren die Pflanzen bereits wieder auf Brusthöhe angewachsen und überwucherten das Feld erneut mit einer Pracht, dass es zunächst schwer war die eigentlich wichtigen Spargelpflanzen ausfindig zu machen. Des Weiteren hatte er nur einen Tag vor unserer Ankunft einen Gärtner als Vollzeitarbeitskraft angestellt der nun die Aufgabe hatte die gesamte Arbeit strukturiert zu planen und gelegentlich unsere Fortschritte zu kontrollieren. Beide waren von den Entwicklungen und von Richards Unwissen sichtlich genervt, da beide in Deutschland aus der Landwirtschaft kamen, jedoch als Backpacker in Neuseeland selbstverständlich kein Gehör fanden wenn sie eventuelle Fehler oder Dringlichkeiten ansprachen. Diese Tatsache machte es für uns umso unangenehmer, dass wir ebenso dem Gärtner mit unserer scheinbar so guten Arbeitsmoral vorgestellt wurden und ihn somit von Beginn an auf unserer Seite hatten.

Kurze Zeit später kam das zweite, bereits im Gespräch erwähnte Pärchen, womit die derzeit angestellten Backpacker damit alle vollzählig waren und wir gemeinsam in der brütenden Sonne durch das Spargelfeld robbten. Nach einer kurzen Zeit lernten wir dann auch Rosa und ihren britischen Freund Alex näher kennen. Die Gespräche mit den beiden waren so unterhaltsam und lustig, dass die Arbeit wie im Flug verging und wir ziemlich schnell unsere 10,5 Arbeitsstunden absolviert hatten. Der nächste Arbeitstag sah vergleichbar aus. Wir arbeiteten weiter am weeding des asparagus (Spargel) und versuchten uns mit gemeinsamen Gesprächen von der für uns völlig in Vergessenheit geratenen, drückenden Sonne abzulenken. Zum Feierabend suchten wir gemeinsam mit Rosa und Alex wie besprochen ein kleines, lokales Freibad auf, indem wir die letzten Sonnenstrahlen noch kurz genießen und uns im Anschluss duschen konnten. Doch der krönende Abschluss dieses Arbeitstages war der Besuch einer uns bereits bekannten Fast Food Kette – Carls Jr. Gemeinsam verbrachten wir hier unser Doppeldate, wobei die energiedichten Burger, die Zuckerhaltigen Getränke und die aufgeschlossene Art der beiden für einen sehr schönen Feierabend sorgten.

Am dritten und letztens Arbeitstag machte ich es mir zur Aufgabe meine Mittagspause etwas auszudehnen und mich in der Stadt um das Auto zu kümmern. Bei abermals knallender Sonne fuhr ich beinahe 3 Stunden durch Hastings und Napier, um festzustellen, dass der Verkauf an einen Händler oder die Reparatur der Frontscheibe vor dem Verkauf keine Punkte bringen würde. Schließlich fuhr ich bei Collum vorbei und traf in seinem Haus auf Aman, einen indischen Koch, welchen wir bereits bei unserem ersten Aufenthalt kennen gelernt hatten. Er bot uns über seine Kontakte Hilfe für den Verkauf an und benachrichtigte Collum, dass wir am Abend nochmals vorbei kommen würden, da dieser nach wie vor nichts von unseren Plänen wusste.

Nachdem ich im Anschluss noch einmal einige Stunden mit den anderen gearbeitet hatte, packten wir unsere Sachen und verabschiedeten uns von Richard. Etwas traurig über unseren kurzen Aufenthalt stießen wir mit einem Gläschen Weißwein auf der Terrasse an, welchen wir ihm als Dankeschön für die schnelle Hilfe und Gastfreundlichkeit mitgebracht hatten. Hier bestätigte er uns abermals seine große Zufriedenheit mit unserer Arbeit, was uns erneut sprachlos und fast peinlich berührt zurück ließ.

Am Abend trafen wir uns für die letzte Nacht in dieser Gegend auf einem free campground in Napier mit Rosa und Alex. Nach einer kurzen Waschaktion im Meer hatten wir einen weiteren sehr lustigen Abend, bei dem wir höchstwahrscheinlich einen Teil des Campingplatzes mit unseren akrobatischen und alkoholhaltigen Aktionen mit unterhalten hatten. Gegen 21.00 Uhr meldete sich Collum bei mir und meinte, dass wir noch am selben Abend sehr gerne vorbei kommen und bei ihm nächtigen könnten. Auf der einen Seite froh ihn wieder sehen zu können, aber auf der anderen Seite traurig unsere neu gewonnenen Freunde zu verlassen, verabschiedeten wir uns mit der Abmachung auf ein nochmaliges Treffen in Neuseeland.

Bei Collum angekommen wurden wir sofort in die liebevolle Gastfreundschaft hineingezogen und befanden uns gemeinsam in einer Runde mit bekannten und neuen Gesichtern am Küchentisch. Bei einem weiteren Bier redeten wir stundenlang über Gott und die Welt, was uns zwischendurch auch auf unser Auto brachte. Collum bestätigte uns sofort, dass er uns in unserem Vorhaben so gut es geht unterstützen würde und wir das Auto samt Schlüssel bei ihm abstellen dürften. Nach einem kurzen Hin und Her und einer Diskussion darüber, dass wir sein Angebot in seinem Bett zu schlafen ablehnten, sackten wir auf der schnell aufgeblasenen Matratze in der Stube zusammen und waren völlig geplättet von all den netten Menschen welche uns in den vergangenen Tagen so viel geholfen hatten. Selbst am nächsten Tag an dem wir wie im Hotel mit zwei gerollten Handtüchern vor der Tür aufwachten, kostenloses Internet und Strom zur Verfügung hatten und eine warme Dusche zum morgen genießen konnten, waren wir noch fassungslos von dieser bedingungslosen Unterstützung. Obendrauf bereitete mir eine irländische Backpackerin noch ein üppiges Kaderfrühstück mit Kartoffelecken, Bacon und Rührei zu, was den Aufenthalt perfekt abrundete.

So dauerte es noch einige Stunden bis wir uns dann endlich aus diesem Paradies befreien konnten und unsere Weiterreise in den Norden der Südinsel antreten und unser altes Auto vor Collums Haus zurücklassen konnten.

Beim rekapitulieren und schreiben dieses Kapitels ergab sich für mich folgende Moral aus dem Erlebten:

Wenn man reist lernt man auch einmal Dinge oder Hilfe anzunehmen ohne eine Gegenleistung zurück zu geben. Es entspricht normalerweise nicht meiner eigenen oder der allgemeinen, deutschen Moralvorstellung, doch genau solche Erlebnisse machen das reisen so einzigartig. Man trifft auf viele hilfsbereite Menschen und liebevolle Personen aus unterschiedlichen Nationen. Genau in den Momenten, in denen man denkt, dass man keinen Plan hat und nicht weiß wie es weiter geht, ergibt sich durch Zufall wieder eine neue Chance. Man darf in diesem Moment nur nicht auf sein Handy starren oder den Kopf in den Sand stecken, sonst ist die kurze Gelegenheit im Nuh schon wieder verflogen. Deswegen immer Kopf hoch, Augen auf und mit den Menschen kommunizieren! Ich sage nach wie vor ganz bewusst – Vertraue den Menschen! Natürlich wird es immer schwarze Schafe geben, die einen enttäuschen oder das Vertrauen missbrauchen. Leider mussten wir in diesem Kapitel auch diese Erfahrung machen. Allerdings lebt der Backpacker genau von solchen Situationen. Man ist darauf angewiesen sich gelegentlich von fremden Menschen abhängig zu machen und ihnen blind zu vertrauen – nur so funktioniert es. Es ist ein Geben und Nehmen oder eben mal nur eines von beiden.

Und so lange die Guten noch in der Überzahl sind werde ich diese Einstellung auch beibehalten!



Ein Gedanke zu “Glück im Unglück

  1. Lieber Philipp, laß uns weiterhin an Deinen neu gewonnenen Weisheiten teilhaben. Wir freuen uns, daß Du diese Erfahrungen machst und bitte erhalte Dir Dein Vertrauen. Dann läuft’s auch weiterhin leicht. Wir wünschen Dir Zeit zum reflektieren. Bleib behütet. Viele Grüße aus Chemnitz senden Dir Volker und Andrea

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